Nach dem zentralen Debattencamp in Berlin hat die SPD-Basis an diesem Wochenende auch in Mittelfranken diskutiert. Etwa 100 Genossinnen und Genossen waren der Einladung des Bezirksvorsitzenden Carsten Träger und des Mitgliederbeauftragen und Europakandidaten Matthias Dornhuber gefolgt. Als Impulsgeber hatten sich die Sozialdemokraten Alexander Jungkunz, einen der beiden Chefredakteure der Nürnberger Nachrichten, und Johannes Jakob, Spezialist für Markenentwicklung und Gründer von YOHAY – Brand Development, eingeladen.
„Wenn so viele Genossinnen und Genossen sagen ‚Das war wirklich ein tolle Veranstaltung‘ bestätigt mich das schon“, ist das Fazit des SPD Bezirksvorsitzenden Carsten Träger. „Ich glaube nach wie vor, dass eine Erneuerung der SPD notwendig ist, dass wir alle dazu beitragen müssen, und dass sie auch gelingen kann.“
Alexander Jungkunz gab in seinem Impulsstatement zu bedenken, dass die SPD schon oft nach schweren Wahlniederlagen ähnliche Formate probiert hat. „Damals hießen die Formate zum Beispiel Zukunftswerkstatt oder Dialogforen“. Die SPD habe Vieles geleistet für das Land und werde gebraucht, aber angesichts der Herausforderungen dürfe sie nicht nur Papiere schreiben, sondern müsse sich dieses Mal auch wirklich verändern. Ausgangspunkt dafür müsse eine ehrliche Positionsbestimmung sein, ganz nach Ferdinand Lassalles Motto „Alle große politische Aktion besteht in dem Aussprechen, was ist und beginnt damit. Alle politische Kleingeisterei besteht in dem Verschweigen und dem Bemänteln, was ist.“ Dann aber seien auch Visionen nötig, die in dieser Phase der Unsicherheit und des Umbruchs mit Globalisierung und Digitalisierung das Bedürfnis nach Sicherheit, das in Deutschland besonders tief ausgeprägt ist, zu stillen.
Markenexperte Johannes Jakob wiederum bescheinigte der SPD, nach wie vor eine starke Marke zu seine: „Die SPD steht für sozialen Ausgleich, für Gerechtigkeit, für Solidarität zwischen den Stärkeren und den Schwächeren, das weiß man.“ Allerdings seien Marken nicht mehr nur durch ein einheitliches auftreten stark, sondern durch das Vertrauen, das die Menschen in sie haben. Hier liege das Problem der Partei. „Action is character“, schreibt er dem Erneuerungsprozess ins Stammbuch: Das Handeln muss zum Markeninhalt passen. Und die SPD müsse mehr und viel besser kommunizieren, vor allem mit Blick darauf, wie sich ihr Handeln in der Regierung in ihre große Erzählung und den Markenkern einordnet. Und sie müsse generell zugespitzter und provokativer in der Kommunikation werden, ohne dabei zum „rhetorischen Brandstifter“ zu werden.
Generalsekretär Uli Grötsch nahm beide Bälle gerne auf: Der Parteivorstand arbeite im Moment intensiv daran, wie die BayernSPD sich auch organisatorisch neu aufstellen kann. Seit 155 Jahren seien die Strukturen im Kern dieselben geblieben, mit allen Konsequenzen auch für Arbeitsabläufe und Kommunikation. „Wir haben da einiges vor“, kündigte Grötsch an, er sei aber in der jetzigen Phase vor allem auf den Input von der Basis gespannt.
In zwei Runden zu je 40 Minuten konnten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dann an 5 Thementischen debattieren, die unter den Themen „Wachstum für alle“, „Arbeit von morgen“, „Neues miteinander“, „Wir in der Welt“ und „Parteiorganisation“ standen. Der mittelfränkische Europakandidat der SPD, Matthias Dornhuber, ist mit den Ergebnissen an seinem Tisch „Wir in der Welt“ mehr als zufrieden: „Die Diskussionen waren zuversichtlich und in die Zukunft gewandt“, zieht er sein Resümee, „nicht nur ein Beklagen des Ist-Zustandes, sondern viele konkrete Handlungsoptionen.“ Die EU, da waren sich die beiden Runden einig, muss für die Sozialdemokratie Taktgeber sein, auch in der Sozialpolitik. Sozialdemokratische Handelspolitik müsse fair sein, für beide Partner Vorteile bringen, Arbeitnehmer- und Menschenrechte stärken und gleichzeitig Perspektiven in armen Ländern schaffen um Fluchtursachen zu bekämpfen. Eine europäische Armee können sich die mittelfränkischen Genossinnen und Genossen vorstellen, ihre Einsätze sollten aber streng an UN-Mandate gebunden sein. „Die zentralen Punkte für mich waren: Die Welt ist aus den Fugen, und es ist auch unsere Aufgabe, ihr wieder Ordnung zu geben“, so Dornhuber. „Dabei bekennen wir uns zu multilateralen Abkommen, also solchen zwischen vielen Staaten; und vor allem: die Sozialdemokratie muss auch außerhalb der bestehenden Strukturen denken und bereit sein, neue Strukturen zu schaffen, zum Beispiel mit einer neuen Friedenspolitik.“
Die Ergebnisse auf den Flipcharts, Moderationskarten und Papierbögen werden nun verschriftlicht und dann dem Bezirksvorstand präsentiert. Der wird sie einerseits weiterleiten an die Bundespartei, damit sie in den dortigen Erneuerungsprozess einfließen können. Es sollen aber auch Anträge für die Partei auf mittelfränkischer Ebene aus der Stoffsammlung entstehen.
„Soziale Gerechtigkeit und Fortschritt – das war, das ist und das bleibt unser historischer Auftrag“, so Carsten Träger. „Allerdings müssen wir in Zeiten mit neuen Herausforderungen diesen Auftrag auch immer wieder neu formulieren und anpassen. Hier liegt eines unserer Versäumnisse: Wir haben in den letzten Jahren nicht mehr klar genug gemacht, warum wir gewisse Dinge tun. Die Menschen haben das Vertrauen verloren, dass wir wissen, was sie bewegt.“
Die SPD muss nicht von Grund auf neu erfunden werden. Sie steht im Bewusstsein der Menschen nach wie vor für Solidarität, sozialen Ausgleich und Gerechtigkeit. Allerdings muss dieser Auftrag in Zeiten des gesellschaftlichen Wandels neue überzeugende Visionen und nachvollziehbare Ziele sozialdemokratischer Politik. Oft wurde der Wunsch der Mitglieder laut: in der Kommunikation prägnanter, klarer, emotionaler und durchaus auch wieder streitlustiger werden – auch gegenüber den Koalitionspartnern. Die Basis jedenfalls hat an diesem Samstag jede Menge Material für die sozialdemokratische Politik der Zukunft geliefert.
„Nachdem das Format so gut angenommen wurde, werden wir natürlich überlegen, ob wir es nicht mit Schwerpunktthemen wie Bildung oder Soziale Absicherung im Frühjahr nochmal wiederholen“, kündigt der Mitgliederbeauftragte Dornhuber zudem an.