PLENUM 03/2022 | Martina Stamm-Fibich: „Wir dürfen die Sterbehilfe nicht alleine denken“

20. Mai 2022

PLENUM 03/2022 | Martina Stamm-Fibich: „Wir dürfen die Sterbehilfe nicht alleine denken“

Auch die Suizidprävention und die palliativmedizinische Versorgung müssen in der Debatte des Bundestags berücksichtigt werden.

Der Bundestag hat am vergangenen Mittwoch in einer Orientierungsdebatte über Möglichkeiten zur Reform der Sterbehilfe beraten. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hatte im Februar 2020 das 2015 vom Bundestag beschlossene Verbot der organisierten Sterbehilfe gekippt und klargestellt, dass Menschen ein Recht haben, selbstbestimmt zu sterben, auch mit Unterstützung Dritter.

Im Interview nimmt Martina Stamm-Fibich Stellung zu den aktuellen Beratungen im Bundestag.

Martina, Du hast am Mittwoch in der Orientierungsdebatte zur Sterbehilfe im Plenum gesprochen. Kannst Du uns eine kurze Einführung in das Thema geben?

„Im Jahr 2015 hat der Bundestag sich dafür entschieden, die sogenannte ‚gewerbsmäßige‘ Sterbehilfe in Deutschland zu verbieten. Dazu wurde der Paragraf 217 im Strafgesetzbuch geschaffen. Ziel des damaligen Gesetzes war es, sogenannten Sterbehilfe-Vereinen die Geschäftsgrundlage zu entziehen. Im Februar 2020 hat das BVerfG diesen Paragrafen allerdings für verfassungswidrig erklärt, weil er im Endeffekt allen Personen das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben nimmt – ganz unabhängig von der Art, wie die Suizidhilfe erbracht wird.“

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Das BVerfG hat sein Urteil damit begründet, dass der Tod ein Teil des Lebens ist und das Recht auf Selbstbestimmung daher auch einen Suizid beinhaltet. Wieso sollte der Gesetzgeber sich hier jetzt nochmal einmischen?

„Es stimmt, dass das BVerfG in seiner Urteilsbegründung so argumentiert hat. Das BVerfG hat aber auch gesagt, dass der Gesetzgeber eingreifen soll um die Freiverantwortlichkeit dieser weitreichenden Entscheidung sicherzustellen. Damit ist gemeint, dass wir ein Schutzkonzept brauchen, das verhindert, dass sich Menschen aus Zwang oder Manipulation heraus für den Freitod entscheiden. Der Staat hat sozusagen eine Schutzpflicht für das Leben seiner Bürger. Wir müssen aber gleichzeitig sehr streng darauf achten, dass wir keine Bewertung der Gründe für den Sterbewunsch vornehmen. Dieses Schutzkonzept rechtssicher auszugestalten, ist ein sehr komplexer Abwägungsprozess, der aktuell noch viele offene Fragen enthält.“

Was meinst Du damit konkret?

„Konkret wird es sicherlich darum gehen, wie sichergestellt werden kann, dass diese Entscheidung nicht aus finanziellem oder gesellschaftlichem Druck heraus getroffen wird. Dazu müssen wir erstmal definieren, was wir überhaupt als Druck oder Zwang ansehen. Niemand ist frei von jeglichen Zwängen – die Frage ist: Ab wann können wir nicht mehr von einer freiverantwortlichen Entscheidung sprechen?“

Welche weiteren Aspekte sollten noch beachtet werden?

„Mir ist es extrem wichtig, dass wir die Sterbehilfe nicht alleine denken. Wir haben jetzt die Gelegenheit dazu auch die Suizidprävention und die palliativmedizinische Versorgung politisch voranzubringen. Diese Chance müssen wir unbedingt nutzen, damit es erst gar nicht so weit kommt.“

Die Orientierungsdebatte war ein erster Schritt. Wie geht es jetzt weiter?

„Aktuell liegen drei Gruppenanträge zum Thema vor. Die Anträge sollen noch vor der Sommerpause in die 1. Lesung gehen. Eventuell wird es noch weitere Anträge geben. Nach der Sommerpause gehen die Anträge dann in das Anhörungsverfahren, worauf ich schon sehr gespannt bin. Ziel ist es bis Ende des Jahres eine rechtssichere Regelung zu haben.“

Artikelbild: sabinevanerp / Pixabay.de

Martina Stamm-Fibich | Wahlkreis Erlangen

Friedrich-List-Straße 5 · 91054 Erlangen
martina.stamm-fibichh@bundestag.de · 030 22777422

Webseite: https://www.stamm-fibich.de
Facebook: https://www.facebook.com/martina.stammfibich

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