PLENUM 07/2023 | Jan Plobner: Endlich da – der Entwurf zum Selbstbestimmungsrecht

16. Mai 2023

Es geht voran, mit dem Selbstbestimmungsgesetz. Nach monatelangen Debatten konnten sich die Minister*innen Lisa Paus und Marco Buschmann jetzt auf einen ersten Entwurf einigen. Das ist eine gute Botschaft: Die Debatten um dieses Gesetz gehören ins Parlament. Wirft man nun allerdings einen genaueren Blick auf den Inhalt dieses Entwurfs, dann stellen sich hier doch erhebliche Fragen.

Grundsätzlich regelt das Selbstbestimmungsgesetz das Verfahren zur Änderung des Namens und Geschlechtseintrags für trans*, inter und nicht-binäre Personen. Fragen der medizinischen Geschlechtsangleichung sind und bleiben im Entscheidungsbereich medizinischer Fachgesellschaften und sind explizit nicht vom Selbstbestimmungsgesetz geregelt. Das Gesetz regelt also nichts weiter, als einen Verwaltungsakt. Vergleichbar mit dem Verwaltungsakt zu heiraten, oder aus der Kirche auszutreten.

Im Jahr 1980 verabschiedete der Bundestag das sogenannte „Transsexuellengesetz“ (TSG). Danach muss für eine Änderung ein Antrag bei Gericht gestellt werden. Das Gericht muss sich mithilfe zweier psychiatrischer Gutachten von der Dauerhaftigkeit des Wunsches überzeugen, im „anderen Geschlecht“ leben zu wollen. Insbesondere dieses Gutachtenverfahren ist hoch umstritten und nicht mehr haltbar. Viele trans* Personen sehen sich unter Druck, gesellschaftlich vorherrschende Vorstellungen von Weiblichkeit und Männlichkeit erfüllen zu müssen. Dabei geht es immer wieder um Fragen zu sexuellen Fantasien, ihrer Unterwäsche, Masturbationsverhalten und sonstigen sexuellen Praktiken. Diese Fragen verletzen die Intimsphäre und die Grundrechte von trans* Personen. Außerdem ist in der Wissenschaft Konsens, dass die Geschlechtsidentität nicht „bewiesen“ oder in einem Gutachten herausgearbeitet werden kann: Sie ist subjektiv und kann nicht objektiv von außen ermittelt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat in der Vergangenheit in sechs Entscheidungen einzelne Normen des TSG für ungültig erklärt. Solche Voraussetzungen wurden auch international als Menschenrechtsverletzung definiert. Im Koalitionsvertrag ist dafür ein Entschädigungsfonds vorgesehen. Die Einführung des Selbstbestimmungsgesetzes dient dem fundamentalen Ziel, staatliche Diskriminierung abzubauen und gesellschaftliche Teilhabe für trans* Personen zu erleichtern, indem ein schlichter Verwaltungsakt zur Änderung des Namens und Geschlechtseintrages geschaffen wird.

Das sich der Entwurf jetzt über weite Strecken mit konstruierten und in anderen Ländern mit einem vergleichbaren Gesetz empirisch nicht belegbaren Missbrauchsszenarien beschäftigt, ist vor diesem Hintergrund nicht nur politisch problematisch. Ängste vor konstruierten Missbrauchsszenarien lassen sich nicht dadurch ausräumen, dass diese Szenarien in aller Tiefe durchdacht werden. Auch Ängste vor geflüchteten Menschen lassen sich nicht dadurch nehmen, dass man sich in die Ängste steigert – sondern indem man auf die Menschen zugeht, sich mit ihnen austauscht und im Gespräch merkt, dass das Gegenüber auch ein Mensch ist. Es wäre politisch also klug, wenn der Entwurf zum Selbstbestimmungsgesetz sich auf den Verwaltungsakt beschränken würde.

Stattdessen versucht der Entwurf, für alle möglichen Missbrauchsszenarien Regelungen zu treffen und verliert dabei selbst den Kern des rechtlich zulässigen aus dem Blick. Es gibt bereits sehr klare rechtliche Regelungen für Zutrittsregeln zu bestimmten Räumen (§ 20 AGG). Diese Regelungen werden vor lauter Missbrauchsbefürchtungen durch den Entwurf eingeschränkt. Und das ist nicht nur ein politisches Problem, sondern ein juristisches. Es ist also gut, dass der Entwurf zeitnah ins parlamentarische Verfahren kommen kann, wo er hingehört. Dort werde ich sowohl als Queerpolitiker, aber auch als Rechtspolitiker noch intensiv für Nachbesserungen arbeiten.

Jan Plobner | Wahlkreis Nürnberger Land und Roth

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